
Wenn Farès Chaïbi am Mittwochvormittag erstmals das Trainingsgelände am Deutsche-Bank-Park betritt, beginnt für Eintracht Frankfurt ein neues Kapitel der Kaderplanung. Sportvorstand Markus Krösche hat den Algerier für 12 Millionen Euro Sockelablöse plus 3 Millionen an erfolgsabhängigen Boni verpflichtet – macht 15 Millionen Gesamtpaket. Damit liegt die Investition exakt um ein Viertel höher als die Grundsumme, ein kalkulierter Aufschlag, den der Klub als notwendiges Signal in einem turbulenten Sommer versteht. Denn noch immer hängt das Damoklesschwert eines Abgangs von Randal Kolo Muani über dem Main. Paris Saint-Germain umwirbt den Torjäger weiter aggressiv, und auch wenn die Eintracht öffentlich auf Vertragserfüllung pocht, bereitet sich die sportliche Leitung längst auf alle Szenarien vor.
Krösches Satz, Chaïbi sei „kein Eins-zu-Eins-Ersatz“, ist deshalb doppelt aufschlussreich. Erstens will man Druck vom 20-Jährigen nehmen. Der französisch-algerische Offensivmann bringt enorme Veranlagung mit: exzellente Ballbehandlung, Kreativität im Zwischenraum, mutige Abschlüsse aus der Distanz (vier Fernschusstore in der Ligue 1). Aber er ist kein klassischer Mittelstürmer, schon gar kein physischer Strafraumspieler wie Kolo Muani. Zweitens signalisiert der Manager damit, dass die Eintracht im Fall eines Last-Minute-Verkaufs des Franzosen weitere Gelder reinvestieren würde. Chaïbi ist Baustein A in einem modularen Offensivkonzept, das Variabilität über starre Rollenprofile stellt – Transferwirbel mit Methode.
Cheftrainer Dino Toppmöller plant aktuell mit einem 4-2-3-1, in dem Chaïbi die linke Außenbahn oder die Zehnerposition besetzen kann. Im Training soll er sofort die Abläufe im Gegenpressing verinnerlichen, denn die SGE will wieder höher anlaufen als zuletzt unter Oliver Glasner. Chaïbis Antrittsstärke und sein Gespür für Passwege prädestinieren ihn dafür, den ersten Zugriff zu setzen. Gleichzeitig besitzt er die Technik, nach Balleroberung selbst Tempo aufzunehmen oder Götze und Knauff in Szene zu setzen. Am Sonntag gegen den 1. FC Köln könnte er bereits von der Bank kommen – vorausgesetzt, die körperlichen Werte aus dem Medizincheck halten der Belastung stand.
Taktisch eröffnet der Neuzugang mehrere Optionen. Bleibt Kolo Muani, kann Chaïbi als inverser Flügelspieler Räume für dessen Läufe öffnen, indem er in die Halbräume einrückt. Geht der Star-Stürmer, könnte Frankfurt auf ein fluides 4-3-3 mit falscher Neun umschalten: Chaïbi, Knauff, Götze oder Ngankam würden dann ständig Positionen tauschen, um die gegnerische Abwehr zu destabilisieren. Für Krösche ist genau diese Unberechenbarkeit der Kern des „Transferwirbel-Konzepts“: Statt einen einsamen Fixpunkt zu schaffen, wird die Last auf mehrere, entwicklungsfähige Schultern verteilt. Das erhöht den Wiederverkaufswert der Talente und mindert die Abhängigkeit von Einzelspielern – eine Lehre aus dem Winter, als die Mannschaft ohne den verletzten Kolo Muani kaum Torgefahr entfachte.
Finanziell bleibt die Eintracht dabei in ihrem Rahmen. Die 15 Millionen Gesamtpaket für Chaïbi sind der dritthöchste Einkauf der Vereinsgeschichte, aber durch Staffelboni und die interne Gehaltsstruktur abgesichert. Das Startgehalt von 1,5 Millionen brutto steigt nur, wenn Einsätze, Tore und internationale Qualifikation erreicht werden. Ein Transferplus aus einem möglichen Kolo-Muani-Verkauf würde das Budget nicht nur ausgleichen, sondern weitere Spielräume schaffen – Namen wie Hugo Ekitiké und Akor Adams kursieren bereits.

Abseits der Zahlen ist Chaïbi ein Statement an die Fans. Der 20-Jährige verzichtete auf höhere Gehaltsaussichten in Marseille, weil ihn Atmosphäre und Entwicklungsgarantie am Main reizten. Genau diese Selbstverständlichkeit, Frankfurt als Sprungbrett in die europäische Spitze zu sehen, will Krösche kultivieren. „Wer hier unterschreibt, entscheidet sich für Emotionalität, nicht für eine letzte Ausfahrt“, sagt er hinter vorgehaltener Hand. Damit rückt die Eintracht in eine Rolle, die früher Vereine wie Ajax oder Porto innehatten: Käufer von Rohdiamanten, Entwickler von Topspielern, Verkäufer mit Gewinn – aber gleichzeitig sportlich ambitioniert genug, um regelmäßig international zu spielen.
Ob Chaïbi sein Debüt schon gegen Köln vergoldet, ist offen. Sicher ist jedoch, dass sein Transfer symbolisch für den Frankfurter Sommer steht: Viel Bewegung, viel Lärm, doch hinter dem Wirbel steckt ein Plan, der die Offensive diversifiziert, das Risiko streut und die Zukunft sichert.
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